Zeitschrift für Orchesterkultur & Rundfunk-Chorwesen
Alexander Werner: Carlos Kleiber. Eine Biografie
von Christoph Zimmermann
Ausgabe 2/2008
Rubrik Bücher
Rezension
Werner, Alexander
Carlos Kleiber
Eine Biografie
Verlag/Label: Schott, Mainz 2007
Rubrik: Bücher
Das Orchester 04/2008, Seite 60
Es gibt eine hochinteressante CD, welche Alexander Borodins 2. Sinfonie in Einspielungen sowohl durch Erich als auch Carlos Kleiber präsentiert. Interpretationsvergleiche lassen sich für Vater und Sohn freilich auch sonst zur Genüge anstellen, etwa mit Beethoven, Schubert oder Johann Strauß auf dem sinfonischen Sektor, mit dem Rosenkavalier von Richard Strauss oder Webers Freischütz bei der Oper. Dieser Hinweis erfolgt nicht von ungefähr. Wer sich über Carlos Kleiber zu äußern anschickt, wird dies nicht tun können, ohne umfänglich auf Erich Kleiber als Überfigur für den Sohn einzugehen. Ob pädagogische Strenge und Restriktion als Hilfe gemeint war oder ob sich vorrangig ein autoritärer Charakter auslebte, ist schwer entscheidbar. Dass sich Carlos Kleiber aber an Erich Kleibers künstlerischer Integrität und Kompromisslosigkeit ein Leben lang bis zur Selbstzerfleischung orientierte, dürfte außer Zweifel stehen.
Die dritte Biografie über Carlos Kleiber (zuvor schrieben Jens-Malte Fischer und Mauro Balestrazzi über den 1930 geborenen, 2004 verstorbenen Dirigenten) stammt von Alexander Werner und ist in ihrer Fülle von Zeitzeugen-Aussagen nachgerade überwältigend. Diese summieren sich zum komplexen Bild eines genialischen, skrupulösen und angstbesessenen Dirigenten. Irgendwann kommen bei der Schilderung seines zerrissenen Charakters freilich keine neuen Aspekte mehr hinzu. Man gewinnt sogar den Eindruck, der Autor habe seinen Interview-Zettelkasten partout bis zur Neige ausschlachten wollen.
Die gleichwohl lebendig zu lesende und erfreulich unakademische Biografie verdichtet das Bild eines Künstlers, der immer und überall um die ideale Interpretation rang. Die vielen eigenwilligen, oft genug betriebslähmenden Reaktionen Carlos Kleibers haben manch reißerischen Zeitungsartikel zur Folge gehabt. Bei aller Impulsivität des Gebarens ist jedoch zu bedenken: Carlos Kleiber, dessen Dirigentenkarriere eher langsam anlief und der so manche Stolpersteine zu überwinden hatte, blieb gegenüber seinen Leistungen ungeachtet öffentlicher Euphorien stets kritisch, ja überkritisch und maß sie stets (eine fast schon pathologische Komponente) an den künstlerischen Vorgaben des Vaters. Er erlaubte sich verstörende Auszeiten, beleidigte mit Absagen und befremdete mit exorbitanten Honorarforderungen. Und doch wurde er, privat durchaus charmant, von fast allen Sängern und Orchestermusikern nahezu kultisch verehrt.
Was sich an Affären hinter den Kulissen abspielte (stellvertretend seien die Auseinandersetzungen mit dem Regisseur Walter Felsenstein beim Stuttgarter Freischütz 1967 genannt), mag für den flüchtigen Leser schon mal den Charakter einer Kolportage annehmen. Doch wo Genialität Platz greift (und das war bei Carlos Kleiber der Fall), ist eben nicht mit traditionellem Maß zu messen. Die Herausarbeitung dieses Moments besticht an Werners Buch, die Fülle an Anekdotischem mag man unterschiedlich bewerten.
Christoph Zimmermann