Anmerkungen zu den Büchern über Carlos und Erich Kleiber
Die Crux der Kleiber-Biografien
1957 veröffentlichte der Engländer John Russel die erste Biografie über Erich Kleiber. Eigentlich hätte das Buch aus einer deutschsprachigen Feder kommen müssen, bedauerte später nicht nur der bekannte Musikpublizist K. H. Ruppel. Dies und die Tatsache, dass es das einzige blieb, spiegeln die Tragik des Exilanten wider, der über ein Jahrzehnt fern von deutschem Musikleben gewirkt hatte und dem es letztlich aus politischen Gründen weder in seiner Heimat Österreich noch in Deutschland gelang, Fuß zu fassen. Galt er als Emigrant eh schon als verdächtig, brachte den aufrechten Konservativen sein am Ende geplatztes Engagement an der Staatsoper in Ostberlin im politisch zerrissenen Nachkriegsdeutschland gänzlich ins politische Abseits. Umso leichter wurde er dann in Wien ein Opfer von Intrigen, in denen seine Hoffnungen auf die Leitung der Wiener Staatsoper zerstoben.
So gerne nun Vater und Sohn verglichen werden, hier scheinen sich auf den ersten Blick keine Parallelen zu Carlos Kleiber aufzudrängen. Seit den 70er-Jahren spielten nicht wenige deutschsprachige Autorinnen und Autoren mit dem Gedanken, ein Buch über ihn zu schreiben. Alle gaben auf, weil der an Publicity und Ruhm nicht interessierte Maestro sich an einem solchen Projekt mit wem auch immer nicht beteiligen wollte. Dass aber eine Biografie ohne Kleiber selbst, ohne Interviews oder posthum ohne die Familie unmöglich sein sollte, daran zweifelte ich von Anfang an.
Hätte ich nicht hartnäckig mein Ziel verfolgt, wer weiß, wann und ob überhaupt in absehbarer Zeit ein Buch über Carlos Kleiber erschienen wäre. Denn wer sich im Ausland daran wagen wollte, sah sich schnell einem schier undurchdringlichen Recherchedickicht gegenüber.
Und so geht der Blick doch wieder zurück zum Vater. Eine Biografie über ihn aus eigenem Antrieb hätte allerdings ebenso eine beachtliche Recherche verlangt. Denn auch er schottete sein Privatleben vor der Öffentlichkeit ab und ließ kaum jemanden an sich heran. Vielleicht hätte es nie eine Biografie über ihn gegeben, hätte er nicht eine willensstarke Frau gehabt, die zielstrebig an seinem Erfolg und Nachruhm arbeitete. Gerade ihr Bemühen um die deutsche Übersetzung nach Kleibers Tod belegt, wie viel ihr daran lag. John Russel erhielt sorgsam ausgewähltes Material: Briefe, die Ruth Kleiber selbst zensierte und für den persönlichen Auftragsautor abtippte. Trotz all ihrer Qualitäten also eine gefärbte Biografie. Wer mag daran glauben, dass gerade Carlos Kleiber einem Autor unverblümt Interviews oder Briefe gegeben und ihm weitgehend freie Hand gelassen hätte?
Mir lag sicherlich nicht daran, alles aus Kleibers Leben ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren, sondern auf der Grundlage einer Fülle auch sehr persönlicher und verantwortungsbewusst bewerteter Quellen ein aussagekräftiges und objektives Bild des Menschen und Künstlers Carlos Kleiber zu vermitteln. Wollte man eine Biografie nur unter anderen Voraussetzungen für möglich halten, dann hätten unzählige Biografen, die oft nicht einmal mehr Zeitzeugen befragen konnten oder über weit weniger Informationen verfügten, niemals zum Stift greifen dürfen.
Alexander Werner