NDR Kultur, Hamburg

4 Teile, 5., 12., 19., 26. Juli 2009, jeweils Sonntag, 18 bis 19 Uhr

 

Die großen Stars der Musik

Der rätselhafte Außenseiter

von Sabine Lange

 

 

Anmerkungen:

 

NDR Kultur hat die Kleiber-Biografie für die Reihe intensivst ausgewertet, sehr umfangreich Informationen und Zitate von Zeitzeugen verwendet und die überwiegend nicht erkennbar dokumentiert. In den beiden letzten Folgen wurde dann nach Rücksprache immerhin nochmals deutlich im Abspann auf das Buch verwiesen.

 

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Der rätselhafte Außenseiter

Von Sabine Lange

Sendetermine:
Teil 1/4: Sonntag, 5. Juli 2009, 18.00 bis 19.00 Uhr
Teil 2/4: Sonntag, 12. Juli 2009, 18.00 bis 19.00 Uhr
Teil 3/4: Sonntag, 19. Juli 2009, 18.00 bis 19.00 Uhr
Teil 4/4: Sonntag, 26. Juli 2009, 18.00 bis 19.00 Uhr


Vor fünf Jahren starb Carlos Kleiber in Slowenien, der Heimat der beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben - seiner Gattin und seiner Mutter (sic!). In Nachrufen wurde er als "verehrungswürdigster Dirigent seit Toscanini" bezeichnet, aber auch als ein Mann, der "dem klassischen Musikbetrieb ein Rätsel blieb".
"Er wirkte wie ein scheues Reh", formulierte Richard von Weizsäcker beeindruckt. "Er trug unendlich schwer an der Unvollkommenheit der Welt. Unentwegt war er auf der Suche nach dem Makellosen, dem Idealen, dem Vollkommenen. Wenn er musizierte, dann rührte er an den Himmel."

Ein enormes musikalisches Talent

Kleiber wurde im Juli 1930 in Berlin als Sohn des österreichischen Dirigenten Erich Kleiber geboren, der bis 1935 als Generalmusikdirektor die Staatsoper Unter den Linden leitete. Danach brach eine unruhige Zeit für die Familie an. Sie wanderte zunächst in die Schweiz aus - Erich versuchte, in Argentinien Fuß zu fassen. Er wurde vom Teatro Colon in Buenos Aires engagiert, wo er bis 1949 dirigierte. Oft war die Familie getrennt. Erst 1940, nach Kriegsbeginn, folgten Frau und Kinder nach Südamerika.


Im Schatten seines Übervaters entwickelte der junge Carlos ein enormes musikalisches Talent - doch der oft kühl distanzierte Vater nahm davon bevorzugt ironisch Kenntnis. Er drängte Carlos, lieber Chemie statt Musik zu studieren. Der talentierte Carlos ließ sich nicht abbringen von der Musik. Anfang der 50er-Jahre begann er als Kapellmeister in der Provinz seine Karriere als Dirigent. Schon zwei Jahre später luden ihn größere Häuser ein. Schließlich ging er 1968 an die Bayerische Staatsoper München, 1973 an die Wiener Staatsoper. 1974 debütierte er in London, 1978 in den USA und an der Mailänder Scala.

Perfektionist mit schmalem Repertoire

Er galt schnell als bedeutender, aber auch schwieriger Dirigent, der sich gern rar machte, selten auftrat und kaum Platten aufnahm. Als Perfektionist, ja als Fanatiker wurde Kleiber wahrgenommen, als ein Mann, der an sich und andere schier unerfüllbare Ansprüche stellte. Wenn er aber auftrat, dirigierte, dann versetzte er Publikum und Kritiker in ein Elysium. Joachim Kaiser berichtete: "Als Kleibers Schallplatteneinspielung von Beethovens 5. Sinfonie auf den Markt gekommen war, hieß es im amerikanischen Magazin 'Time', es klinge, als wenn Homer zurückgekehrt sei, um seine Ilias vorzutragen.' Kleibers Kunst sei von "so beschwingter Freiheit und unfasslich gesteigerter Passion", dass der Dirigent während eines "Tristan" mehr als einmal an den Rand eines physischen Zusammenbruchs gelangt sei.
Kleiber gab auch Rätsel auf, was sein Repertoire betraf: Er hielt es sehr schmal und war darauf bedacht, das Wenige zur Perfektion zu bringen. Die "FAZ" kommentierte: "Die geradezu manische Auseinandersetzung mit wenigen Werken hat zu Interpretationen geführt, wie man sie selten erleben konnte. Dabei stellte sich die Faszination, die von diesen Interpretationen ausging, häufig erst gegen Ende eines Werkes ein, wenn der letzte Ton verklungen war: Zeichen seiner ungewöhnlichen architektonischen Begabung."

Begeisterung bei Hörern und Kritikern

Viele haben versucht, Kleiber zu locken, sein Repertoire zu erweitern. Manche haben seine Weigerung auf sein Trauma zurückgeführt - auf das Verhältnis zu seinem einschüchternden Vater. Doch immer wieder: Was er dirigierte, begeisterte die Hörer und Kritiker. In der "Zeit" hieß es: "Zweiter Akt Tristan unter Kleiber: Furioseres gab es auf Erden nicht. Und vergleicht man seine Aufnahme von Beethovens 5. mit der seines Vaters, so liegen in der Differenz zweier Könner Welten: hier der auf klassische Vermittlung und expressiven Ausgleich bedachte Vater, dort der ungestüme Sohn, der alle Vehemenz so jäh ins Feld führte, als seien ihm in einer geheimen Stunde Apoll und Dionysos zugleich erschienen und hätten auf ihr Recht gepocht."

NDR Kultur porträtiert den außergewöhnlichen und rätselhaften Künstler, der sich so gern verweigerte, dann aber auch wieder völlig der Musik hingab, in der Reihe "Die großen Stars der Musik".