Carlos Kleiber und die Politik

Offener Geist ohne politische Ambitionen


War Kleiber ein politischer Mensch und welche Überzeugungen hatte er? Keine leichte Frage, die da unlängst in einem ausländischen Blog diskutiert wurde. Angeregt wurde sie von einigen, des Deutschen nur bedingt mächtigen Kleiber-Interessierten nach der insofern nicht einfachen Lektüre meines Buches. Speziell meine Anmerkungen zu den späten 60er-Jahren kamen hier zur Sprache, eine hochpolitische Zeit voller gesellschaftlicher Umbrüche.

Carlos Kleiber war wie sein Vater eigentlich kein politischer Mensch. Erich Kleiber wurde mehrfach gegen seinen Willen in die Politik verwickelt: in Nazi-Deutschland, während der Emigration und später durch sein Engagement in Ostberlin. Das Schicksal seines Vaters prägte auch Carlos Kleiber. Er reagierte sehr heftig, wenn sein Vater mit den Nazis in Verbindung gebracht wurde und zeigte sich als strikter Gegner des Nationalsozialismus sowie rechter Strömungen. Politisch aktiv wurde er jedoch nicht seine politischen Äußerungen waren häufig emotional und situationsbezogen.

 


Nach Ende des Zweiten Weltkriegs besaßen in Deutschland noch immer viele Menschen Macht und Einfluss, die bereits während des Dritten Reiches eine unrühmliche Rolle gespielt hatten. Für Carlos Kleiber waren diese ein rotes Tuch.

 

Zurückgekehrte Emigranten erfuhren in Deutschland und Österreich nach dem Krieg noch lange Misstrauen und Ablehnung. Erich Kleiber machte solch bittere Erfahrungen und auch sein Sohn wurde damit immer wieder konfrontiert. Die deutsche Gesellschaft befand sich in den 60er-Jahren in einer schwierigen Phase. Eine konservative Politik, die nach wie vor den reaktionären, autoritären Geist großer Teile der Bevölkerung widerspiegelte, sah sich zunehmend mit einem wachsenden Drang nach mehr Demokratie, Freiheit und Offenheit konfrontiert, der sich schließlich in der so genannten 68er-Bewegung Luft machte. Diese forderte eine Aufarbeitung der NS-Zeit und einen gesellschaftlichen Wandel, sie brachte die Gesellschaft ins Wanken.

Verständlich, dass Carlos Kleiber, der verkrustete Strukturen hasste und im Denken eher ein Freigeist war, dieser linksorientierte Aufbruch nicht unberührt ließ. An politischen Aktionen aber beteiligte er sich offenbar nicht. Über politische Themen sprach Kleiber nur im privaten Kreis, mit Freunden und guten Bekannten. Wie große Teile der jüngeren Generationen, wandte er sich in solchen Gesprächen beispielsweise gegen den Vietnam-Krieg und damit gegen die Politik der USA. Bemerkungen wie jene, dass er das Dirigieren aufgeben und in Vietnam aktiv werden wolle, entsprangen aber emotionalen Momenten und besagen nicht, dass Kleiber dies wirklich vorhatte. Dass er eine Mao-Bibel besaß, heißt ebenfalls nicht viel. Sie war damals in Deutschland bei jüngeren Leuten sehr verbreitet und Kleiber auf der anderen Seite wissbegierig und intellektuell stets sehr aufgeschlossen, auch gegenüber Gesellschaftstheorien und anderen Kulturen.

In späteren Jahren reiste er sehr viel, um die Welt und ihre Menschen kennenzulernen. Während seiner ersten Japan-Tour, 1974, beschäftigte er sich derart intensiv mit dem Buddhismus, dass Nahestehende ihn bereits zu einem Buddhisten werden sahen. Wenngleich er wohl kaum an eine Wiedergeburt glaubte, dürften ihn gewisse grundlegende, universelle Sichtweisen dieser Lehre beeindruckt haben. Nach der Reise jedoch gingen diese wohl in seinem geistigen Kosmos auf, ohne dass er sich einer bestimmten Religion verpflichtet fühlte. Auffallend aber war immer seine große Toleranz.

Politisch nachhaltig für Carlos Kleiber blieben auch seine Erfahrungen mit dem real existierenden Sozialismus in Ost-Berlin, wo sein Vater, frustriert von der politischen Führung der DDR, 1955 an der Berliner Staatsoper das Handtuch warf und in den Westen zog, nur um dann dort zuweilen als Kommunist verunglimpft zu werden. Bis zu seinem Tod hatte er darunter zu leiden. Mit linken Ideen jedoch war Carlos bereits in Kuba in Berührung gekommen. Seine Mutter etwa war eine gute Bekannte von Fidel Castro. Tendenziell stand Kleiber im Denken wohl Ideen nahe, die in Deutschland von Linksorientierten vertreten wurden. Dies aber war lange Zeit ein Merkmal gerade der jüngeren Generationen aus gutbürgerlichem Hause. Im Ganzen ging es ihnen mehr um einen gesellschaftlichen und politischen Wertewandel, der natürlich im Sinne Kleibers lag.

Gegenüber der Politik und ihren Protagonisten hegte Carlos Kleiber zeitlebens ein großes Misstrauen, nicht zuletzt wegen der Erfahrungen seines Vaters und der eigenen Erlebnisse in der schwierigen Zeit der Bundesrepublik und Österreich der 50er- und 60er-Jahre. Wie tief Kleibers Antipathie gegenüber Politik und Politikern war, zeigte sich beispielsweise, als er 1989 auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ein Bundespräsidentenkonzert in Berlin dirigieren sollte. Dass er in Weizsäcker eine positive Ausnahmeerscheinung in der Politik sah, trug maßgeblich dazu bei, dass er dieses Konzert sowie ein weiteres im Jahre 1994 mit dem Philharmonischen Orchester Berlin bestritt.

Prinzipiell lässt sich wohl sagen, dass es Kleiber nie um politische oder gar parteipolitische Doktrinen ging, sondern um eine freiheitliche, offene, aufgeschlossene, soziale und gerechte Gesellschaft.

Alexander Werner