Wolfgang Wagner

Wolfgang Wagner
Hoch-Zeit auf dem grünen Hügel

Alexander Werner im Gespräch mit dem Leiter der Bayreuther Festspiele

Interview vom 30. März 2005, Bayreuth

aus Standpunkte Ausgabe August 2005

 

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Das in Standpunkte gedruckte Interview-Teil bezieht sich auf Bayreuth allgemein und beeinhaltet keine Passagen zu Carlos Kleiber. Solche, die der Recherche für mein Buch dienten und die dort teils verwendet wurden, habe ich nun im Folgenden zusammengestellt:

 

Interview mit Wolfgang Wagner zu Carlos Kleiber
30. März 2005, Bayreuther Festspielhaus


„Unikum der ganzen Bayreuther Festspiele und der gesamten Dirigentengeschichte“


Ende März 2005 verbrachte ich einen entspannten Nachmittag in Bayreuth und hatte ein langes Gespräch mit Wolfgang Wagner. Der Festspielleiter war sehr jovial und erzählte auch gerne über Kleiber. Allerdings wich er für mich nicht unerwartet bei bestimmten Fragen aus, vor allem bei solchen, die Kleibers verfrühte Abreise von den Festspielen 1976 betrafen, die gleichzeitig den endgültigen Abschied des Dirigenten vom Grünen Hügel bedeutete.
Im Krisenjahr 1976 hatte nicht nur der Aufruhr vieler Musiker gegen Pierre Boulez und sein Dirigat des umstrittenen „Ring des Nibelungen“ in der Regie von Patrice Chéreau die Gemüter erregt, sondern auch der aufbrechenden Familienzwist im Hause Wagner. So kehrte nicht alleine Kleiber Bayreuth den Rücken, sondern auch Wagners Tochter Eva, zu der Kleiber ein sehr vertrautes Verhältnis pflegte.
Die Hintergründe habe ich ausgiebig recherchiert und in meinem Buch geschildert. Kleiber schied keineswegs im Streit mit Wagner, sondern pflegte weiterhin mit ihm ein gutes Verhältnis. Die steten Bemühungen Wagners, Kleiber wieder nach Bayreuth zu holen, bleiben indessen erfolglos so wie einst  seine frühen. Denn schon lange bevor Kleiber 1974 endlich ans Pult trat, hatte Wagner um ihn geworben. Auch hier hielt sich der Enkel des von Kleiber hoch verehrten Komponisten etwas bedeckt. Letztlich bedufte es der Hilfe Eva Wagners, um den Zögerlichen Kleiber für Bayreuth  zu gewinnen. Ebenso ein Thema, auf das Wagner offenbar nicht eingehen mochte.

Carlos Kleiber dirigierte 1974 bis 1976 „Tristan und Isolde“ in Bayreuth. Wie kam es zu dem Engagement? Nach meinen Informationen hatte Ihre Tochter daran Eva maßgeblichen Anteil?

Ich habe ihn eingeladen. Mein Bruder Wieland und ich kannten Carlos von Stuttgart her. Ich wollte ihn haben. Da die Dirigentendisposition ja meist ein paar Jahre vorher erfolgt, habe ich ihn verhältnismäßig früh angesprochen und ihn endlich davon überzeugt, dass er den „Tristan“ dirigiert. Das brauchte ein paar Jahre Vorlauf. Kleiber kam erst 1974, weil vorher bereits alles vergeben war.

Aber Kleiber kam bei „Tristan“ ja erst ins Spiel, als Leonard Bernstein und Georg Solti nicht mehr zur Debatte standen und sagte dann wohl auch erst nach einem Besuch Ihrer Tochter in München 1972 zu. Hatten Sie ihn aber nicht bereits direkt nach der umjubelten Premiere des „Freischütz“ in Stuttgart 1967 ein Engagement für 1968 angeboten, möglicherweise ein Dirigat des „Fliegenden Holländer“, das Kleiber mit ironischen Bemerkungen zu seinem angeblichen dirigentischen Unvermögen und der „Werkstatt Bayreuth“ ablehnte?
Das ist durchaus möglich. Mein Bruder Wieland war 1966 gestorben. Es war schon Interesse vorhanden.

Wann sind Sie denn überhaupt auf Kleiber aufmerksam geworden?

Mein Bruder inszenierte viel in Stuttgart. Auch ich kannte Carlos von Stuttgart her. Natürlich sagte uns der Name bereits zuvor etwas. Er war uns schon in Düsseldorf an der Deutschen Oper am Rhein aufgefallen.

Ihr Bruder Wieland soll Kleiber in Stuttgart empfohlen haben und dessen Engagement damit mit gefördert haben.
Nein, dazu kann ich nichts sagen. Ich weiß nur, dass mein Bruder zusammen mit Kleiber in Stuttgart war und ihn dort kennenlernte, nachdem Intendant Walter Erich Schäfer ihn engagiert hatte.

Meiner Kenntnis nach soll der einflussreiche Produzent Walter Legge Kleiber Ihrem Bruder Wieland für Stuttgart an Herz gelegt haben. Legge war wohl schon an Vater Erich Kleiber interessiert gewesen und soll sich – allerdings vergeblich – bemüht haben, diesen in den 50er-Jahren für EMI von Decca abzuwerben.
Über Walter Legge kann ich nichts sagen. Herr Legge hat ja erklärt, alles was Wieland Wagner machte, habe er angeregt. Dem kann ich nicht beipflichten und über das Verhältnis Wieland Wagners zu Carlos Kleiber kann ich nichts sagen.

Für Carlos bedeutete es ein ganz besondere Herausforderung, irgendwann am Pult Richard Wagners zu stehen. Für ihn, der seinen Vater sehr verehrte, spielte bei Engagements indessen stets auch eine Rolle, ob irgendwelche Altlasten wie beispielsweise in Wien vorlagen. Bei Bayreuth war dies nicht der Fall. Interessant wäre indessen, ob Sie nach dem Krieg oder zuvor Ihr Vater Siegfried Erich Kleiber nach Bayreuth eingeladen haben?
Ich weiß nicht. Ich denke, dass mein Vater jedenfalls gut mit ihm stand. Als mein Vater in Wuppertal gastierte, machte Erich Kleiber ein paar Vorproben für ihn. Meine Mutter Winifred war mit Carlos` Mutter Ruth befreundet. Die saßen immer in Salzburg zusammen. Da gab es schon Verbindungen da. Es ist ja nicht so, dass Bayreuth eine Insel gewesen wäre und man nicht gewusst hätte, was draußen herumschwimmt.

Kannten Sie den Vater? Später wurden Sie gewiss öfter mit seinem Namen konfrontiert.

Den Vater erlebte ich nur einmal dirigieren. Das war kurz vor der Machtergreifung 1932/33 in einem Konzert mit den Berliner Philharmonikern.

Carlos ähnelte seinem Vater in Vielem. Auch was seine musikalischen Ideale, seine Arbeitsweise und seine Forderungen anging, wandelte er auf dessen Spuren. Wie kamen Sie damit zurecht?
Carlos verlangte eine Unzahl von Proben. Ich habe sie ihm natürlich zugesagt. Aber dann machte er nur genauso so viele wie anderen Dirigenten auch. Er wollte mindestens drei Orchesteralleinproben und eine Bühnenorchesterprobe mehr. Ich versuchte, es ihm zu ermöglichen, obwohl es bei uns nicht so einfach ist, die vielen Proben unterzubringen. Als er das erste Mal vor dem Orchester stand, löste sich das dann aber auf einmal von selber. Weil er sofort einen so starken Kontakt zu den Musikern hatte, konnte er wirklich so proben, wie er sich das vorstellte. Das kann man jetzt auslegen wie man will. Tatsächlich forderte er viel, aber da die Musiker wussten, dass die Forderungen auch zu etwas führten und nicht bloß Gerede sind, haben sie gern mit ihm gearbeitet.

Forderte er wegen der Akustik nicht ausschließlich Proben im Orchestergraben?
Dazu kam es nur zweimal. Es war möglich oder besser gesagt, wir haben es so berechnet, dass es möglich wurde. Die Bühne ist immer die größte Kostbarkeit. Aber das lief ohne Schwierigkeiten, weil er merkte, dass alles für ihn getan wurde und er so probieren kann, dass er zufrieden sein konnte, mit dem, was ihm zur Verfügung stand.

Kleiber legte angesichts seiner durchwachsenen Erfahrungen mit Orchestern um so mehr Wert auf strikte Disziplin. Angeblich hat er oder ließ einen Zettel aufhängen, dass Essen während der Probe verboten sei?
Dummes Zeug. Das machte bei uns keiner. Das Orchester zeichnet sich durch seine außergewöhnliche Disziplin aus. Die Musiker kommen alle freiwillig und wollen etwas Gutes machen. Es zwingt sie ja niemand. Es ist eine freiwillige Dienstleistung, da kann ich erwarten, dass der volle Einsatz kommt. Wir haben während der Probenzeit auch keine Abendaufführung.

Wie gestalteten sich denn die Honorarverhandlungen? Kleiber galt als Künstler, der seinen Wert kannte. Bei ihnen soll er allerdings ganz erheblich bescheidener als etwa in Covent Garden gewesen sein.
Wir zahlen weniger als andere, sonst könnten wir das hier gar nicht machen. Und die Honorare sollen sozialverträglich bleiben. Aber wenn man so wenig wie Kleiber dirigiert, muss man sehen, wo man bleibt. Ist jemand bereit, das Doppelte zu zahlen, muss man es doch nehmen. Aber das stand bei uns gar nicht zur Diskussion. Wenn ich einem Dirigenten sage, ich kann ihnen diese Jahr aufgrund der finanziellen und politischen Lage nur die Hälfte zahlen, wird der trotzdem kommen und sagen: „Ich lasse Bayreuth nicht eingehen.“ Bei uns gibt es an sich gar keine Gagen, jeder weiß, was dem anderen bezahlt wird. Auseinandersetzungen gibt es nicht, der Agent weiß es, die Künstler wissen es.

Könnte es nicht doch vielleicht etwas mehr gewesen sein, als andere bekamen?
Ich lassen Ihnen die Karteikarte gerne kommen, aber bitte behalten Sie die Beträge für sich.

Haben sie mit Kleiber gleich Engagements für mehrere Jahre vereinbart, eventuell auch andere Werke angesprochen?
Na ja, es gab da auch Schwierigkeiten. Eigentlich war er völlig unkompliziert. Er bekam immer von sich aus gewisse Komplexe, war immer wieder unzufrieden, wobei diese Unzufriedenheit andererseits auch ein ungeheurer Motor ist. Wenn einer mit sich zufrieden ist, kommt weniger. Wir sprachen über alles, auch über den „Ring“. Mit seinem „Tristan“ war er hoch zufrieden. Da konnte er zeigen, was er kann. Jeder „Tristan“-Dirigent hat das große Glück, dass er großen Eigen-Erfolg haben kann mit einem Werk, während der andere mit vier ringen und sie hintereinander machen muss. Deswegen ist „Tristan“ auch ein sehr begehrtes Stück. Vier Abende mit dem „Ring“ muss man beherrschen und den großen Bogen zu bringen. „Tristan“ ist dabei nicht einfacher, aber die „Meistersinger“ haben noch den ganzen Chor, sind aufwändiger. Bei „Tristan“ kann man so musikalische Leute wie Kleiber auf die Bühne stellen. Anfänglich aber war ihm nie etwas gut genug.

Warum dirigierte Kleiber nur drei Jahre in Bayreuth?
Es gab dann irgendwelche Schwierigkeiten persönlicher Art.

1976 verließ er die Festspiele nach drei „Tristan“-Aufführungen überraschend und vorzeitig.

Da war irgendetwas los.

Hatte das neben" persönlichen" Gründen oder einem von Ihnen zitierten verletztem Handgelenk etwas mit den Musikerprotesten gegen Pierre Boulez und den „Ring“ zu tun?
Mir ist kein Zusammenhang zwischen Boulez und Kleiber bekannt. Ich kann keine von den Gerüchten bestätigen, die umgingen. Ein Teil der Musiker setzt immer Gerüchte in die Welt.

Kleiber erklärte jedenfalls bereits während der Festspiele 1976, er wolle nie wieder in Bayreuth dirigieren. Sie hatte ihn ja bereits wieder für 1977 eingeladen.

Ich habe sehr viele Dirigenten eingeladen. Da weiß ich nicht mehr alle Einzelheiten. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass Kleiber sehr schwierig war. Aber alles, was schwierig war, existierte auch für die Musiker nicht, weil Kleiber ein so großartiger Dirigent war. Sie haben gern mit ihm musiziert. Uns letzten Endes entscheidet ein Dirigent, wie er mit einem Orchester umgeht und was er aus ihm herausholen kann. So können Musiker auch einen unbequemen Dirigenten vertragen, wenn er was bringt.

Haben Sie weiterhin versucht, Ihn zu überreden?
Natürlich hab ich mit ihm geredet und korrespondiert. Ich sah ihn immer mal wieder und habe ihm auch 1978 beim „Tristan“ in Mailand gesagt: „Wenn du es das hier kannst, kannst du ja auch bei uns dirigieren. Wir sind ja nicht schlechter.“ Es hatte auch mit privaten Geschichten zu tun, aber da rede ich nicht drüber.

Es ist tatsächlich traurig, dass es nie wieder klappte.
Er war nicht einfach. Nicht dass er eine Aversion gehabt hätte gegen Bayreuth oder mich, ganz im Gegenteil. An sich war er auch ganz unkompliziert und leger. Er kam einmal abends zu mir und wollte unbedingt in der Küche noch ein paar Würste haben, die er gerne aß. Aber er sagte extra, er könne ja mal wieder kommen, wenn es was Gescheites zu essen gibt. Er kam ja auch schon früher gerne inkognito nach Bayreuth, reiste von irgendwoher an und setzte sich hinten in die Probe eines anderen Dirigenten. Auf einmal war der Kleiber da, ohne sich vorher anzumelden. Kleiber war ein Unikum der ganzen Festspiele, ja, der gesamten Dirigentengeschichte. Der Gipfelpunkt war, als er sich liegend mit einem Krankenwagen von München nach Bayreuth und wieder zurück fahren ließ. Das hat sich bei jedem ins Gedächtnis gegraben.

Sie sagten, Sie hätten Kleiber auch andere Werke angeboten, sicherlich auch, nachdem er den „Tristan“ für 1977 ausschlug.
Kleiber hatte sich in Bayreuth auf den „Tristan“ eingependelt. Den „Ring“ traute er sich nicht zu, wegen seines Vaters, erklärte er. „Parsifal“ wollte er auch nicht machen. Ich hatte ihm gesagt: „Das wäre doch etwas was für sie.“ Da meinte er, er sei noch zu jung dafür. Na ja, er stellt alles auf den Kopf. Wir haben sehr humorvoll miteinander verhandelt. Ich bot ihm die „Meistersinger“ an. Das wollte er aber nicht. Er hatte ja einen Vaterkomplex. Er sagte, die könne er nicht dirigieren, da sein Vater in dem Werk so stark war und er das nie erreichen würde und es nicht mache. Ich antwortete ihm: „Aber ich will ja nicht Ihren Vater engagieren, sondern Sie.“

Könnten dabei auch die Besetzungen eine Rolle gespielt haben? Ein „Ring“-Projekt in München soll ja auch daran gescheitert sein. War Kleiber mit seinen „Tristan“-Besetzungen zufrieden? Entsprachen Sie seinen Wünschen?
Wir kennen hier in Bayreuth mehr Sängerinnen und Sänger, die für die Besetzung in Frage kommen als die Dirigenten. Dirigenten verstehen meist wenig von Stimmen. Man muss sie gemeinschaftlich engagieren. Viele sagen, Sie haben eine glückliche Hand, machen Sie es. Ich bin gewissermaßen viel mehr unterwegs als ein Dirigent. Stimmen sind da. Man kann aber die Sänger auch nicht immer schon drei oder mehr Jahre vorher engagieren. Kleiber schaute immer auch, was die anderen machen, ähnlich wie Furtwängler, der hier auch immer in Bühnenorchesterproben rein ging.

Gerade was Übertragungen anging, war Kleiber besonders empfindlich. In Bayreuth gab es da auch Probleme und 1975 wurde der „Tristan“ wohl wegen Helge Brilloths Leistung im Rundfunk durch eine andere Aufnahme ersetzt und erst später gesendet.
Grundsätzlich hatte Kleiber nichts gegen Übertragungen. Die Aufnahmen gehören mir als Festspielleiter. Dadurch kann ich alles selber aufnehmen, weil ich damit bürge, dass ich mit den Persönlichkeitsschutzrechten umgehe. Alle Rechte habe ich. Die können einmal gesendet werden live oder einmal bis Ende des Jahres. Das laut Vertrag. Die Bänder gehören mir, die Sender verwahren sie und müssen sie pflegen. Ich bekomme jedes Jahr vom Rundfunk eine bestimmte Summe zur Ausgleich meines Etats. Sänger werden verpflichtet zuzustimmen.

Im Vergleich zu seiner späteren Studioaufnahme, die er eigentlich nicht freigeben wollte, schätzte Kleiber jedenfalls seine Bayreuther Aufführungen sehr. Von jeder Serie ist zumindest ein Mitschnitt erhalten. Aber Dirigier-Fotos von Kleiber scheinen in Ihrem Archiv kaum vorhanden zu sein.

Kleiber wollte sich nicht fotografieren lassen in Bayreuth. Da gab es regelrechte Auseinandersetzungen mit Siegfried Lauterwasser, wenn die Kamera klickte. Manchen Dirigenten macht das gar nichts aus.

(Anmerkung: Im Familien-Archiv Lauterwasser ist allerdings eine ganze Serie von Kleiber-Bayreuth-Fotos erhalten)


Wenn man an die fesselnden Aufnahmen Erich Kleibers von „Parsifal“ oder dem „Ring“ denkt, bedauert man noch mehr, dass er nur „Tristan“ und ab 1980 überhaupt keinen Wagner mehr dirigierte. Er selbst soll auch nicht glücklich darüber gewesen sein, dass er nie wieder in Bayreuth am Pult stand. Hoffnungen auf eine Rückkehr gab es ja noch nach seiner Absage für 1977.
Ja, aber wenn man Kleiber im Prospekt annonciert, dann kann man am Ende nicht einfach Meier oder Müller dirigieren lassen. Das ein Problem. Wenn er während der Saison absagt, kann ich jemand anderes nehmen, aber nicht in der Voranzeige. Das muss verlässlich sein.

Wenngleich nicht in Bayreuth, so arbeiten Sie doch noch einmal 1978 in Mailand mit Kleiber bei „Tristan“ zusammen, den Sie selbst inszenierten.

Er fragte mich und ich sagte: „Ja, wenn Sie vorlieb mit mir nehmen wollen.“ Er kannte mich und wusste, dass er mich ausgleichend zur Seite haben würde.

Aber reibungslos verlief die Arbeit nicht?

Da war es auch schwierig und Kleibers große Geschicklichkeit, dass es dazu kam. Es gab Streit, weil die Musiker nicht richtig mitmachten. Er ärgerte sich über den Solocellisten und bat den Tutticellisten am letzten Pult, der so intensiv und hervorragend spiele, nach vorne zu kommen und mit ihm den Platz zu tauschen. Der Solocellist war dazu noch ein bekannter Professor an der Musikakademie, der als besondere Größe galt. Auf einmal Schweigen im Walde. Da wollten einige Kollegen nicht mehr spielen, wenn er den Cellisten so heruntersetzte. So schaffte es Kleiber wegen einer kurzen Unzufriedenheit, das gute Verhältnis zum ganzen Orchester zu trüben. Klar, dass es das nicht akzeptieren wollte. In der halbstündigen Zwangspause ging es dann hin und her mit mir und der Theaterleitung, bis das Orchester wieder beruhigt war. Was Besetzungen anging, hatte er ja ansonsten Recht. Das wurde ihm auch vertraglich zugesichert. Bei Karajan mussten die Wiener Philharmoniker schwören, das immer die gleichen Musiker spielen. Wenn das Orchester aber kollektiv beleidigt ist, dann schauen dessen Mitglieder nicht mehr zum Dirigenten hin. Kleiber war da kompromisslos. Wenn ihm etwas nicht passte, rannte er raus.

Wolfgang Wagner in Bayreuth 2005