Sena Jurinac

Sena Jurinac
Nicht machen, sondern leben und erleben

Alexander Werner im Gespräch mit der Sopranistin über ihr Leben und ihre Karriere

Interview vom 22. Juli 2004, Neusäß

aus Standpunkte Ausgabe Oktober 2004

 

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Mit der Sopranlegende sprach Alexander Werner

auch über Carlos Kleiber:

 

Frau Jurinac, 1951 haben Sie im Theater an der Wien unter Erich Kleiber im Rosenkavalier gesungen und dann auch als Octavian in seiner berühmten Wiener Einspielung für Decca aus dem Jahr 1954 mitgewirkt. Kannten Sie damals auch schon seinen Sohn Carlos?

Ja, der Rosenkavalier, der noch immer gerühmt wird. Erich Kleiber war 1951 gerade aus dem südamerikanischen Exil zurück nach Europa gekommen. Ich lernte ihn damals kennen, seinen Sohn Carlos aber erst Jahre später in Stuttgart.

Was hatten Sie für einen Eindruck von der Persönlichkeit des alten Kleiber, er galt ja nicht alleine als sehr fordernd, sondern auch als ein wenig diktatorisch?

Ich erinnere mich an intensive Proben. Der Vater war höchst penibel, auf Kleinigkeiten und Feinheiten eingestellt. Er wollte alles ganz genau. Jedes Viertel, jedes Achtel und jedes Sechzehntel musste so sein, wie er sagte. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass er nicht einmal beim Dirigieren ganz gelöst und frei war. Er erschien mir nicht übermäßig streng, jedenfalls hat er sich uns gegenüber uns Sängern nie ungut verhalten. Kleiber war unverbindlich und freundlich. Was für ein Mensch er privat war, weiß ich nicht.

Und auf seinen Sohn trafen Sie dann erstmals in Stuttgart?

Ja. Ich sang dort nur als Gast in Rosenkavalier, Otello oder Madame Butterfly. Der Intendant Walter Erich Schäfer wollte mich immer haben. Und so lernte ich auch Carlos Kleiber kennen.

Er brannte ja richtig darauf mit ihnen zu arbeiten, Sie waren eine große Sängerin und hatten zudem unter dem von ihm so verehrten Vater gesungen. Und nun bei seinem ersten Gastdirigat an der Württembergischen Staatsoper im Januar 1965 Octavian im Rosenkavalier, später auch die Marschallin, zudem in Madame Butterfly und in Otello.

Ja, er war immer sehr nett zu mir. Es gab eine Zeit, da holte er mich jedesmal am Bahnhof ab, wenn ich von Augsburg anreiste. Dass wir befreundet gewesen wären, könnte ich jedoch nicht unbedingt sagen. Ich hielt mich nie lange in Stuttgart auf und fuhr nach der Vorstellung meistens gleich zurück.

Können Sie sich an die Probenarbeit mit ihm erinnern, an einer Neuinszenierung unter Kleiber waren Sie ja leider nicht beteiligt?

Nein, vielleicht kann ich mich offen gesagt deswegen seltsamerweise überhaupt nicht an die Proben erinnern, die sicherlich gerade bei ihm üblich waren. Probleme hatte ich jedenfalls mit ihm keine.

Wie wirkte er auf Sie?

Ich hatte immer das Gefühl, die Nerven liegen bei ihm blank, nicht unter der Haut im Körper, sondern obenauf. So wie manche Blumen, die man nur anschauen muss, damit sie reagieren. Es ist eine Veranlagung, die man hat. Vielleicht hatte er verschiedene Antennen. Einmal soll er sich in einer Aufführung in Stuttgart so verausgabt haben, dass er sich erbrochen hat.

Kleiber machte es der Staatsoper nicht leicht mit seinem für andere undurchschaubarem Wesen und seinen damals sehr ungewöhnlichen künstlerischen Forderungen. Haben Sie Konflikte wahrgenommen?

Ich möchte nur eines sagen: Er bekam von Dr. Schäfer eine ganz große Unterstützung. Der schützte und hielt ihn in allen Umständen, ist soweit ich weiß immer für ihn eingestanden, egal was vorfiel. Sie kennen vielleicht die Geschichte beim Gastspiel in Edinburgh 1966, als Kleiber kurzfristig Wozzeck absagte. Schäfer hielt zu ihm und half ihm. Später benahm sich Carlos leider nicht sehr gut, als er sich 1971 bei der Feier zum 70. Geburtstag von Schäfer in meiner und der Gegenwart meines Mannes nicht sehr gut über ihn äußerte. Es gibt ja viele Geschichten über Kleiber. Wie er später in Wien einmal die Philharmoniker bei der Probe verließ und nach München abreiste oder sich von Bayreuth im Rettungswagen nach München fahren ließ, weil er dort eine Vorstellung hatte und dass nur könne, wenn er liegend hinkomme. Herbert von Karajan etwa war auch ein hochempfindlicher Herr, auch ein sehr sensibler Mensch, aber doch nicht so nicht so ausgeprägt wie Kleiber zwei sehr grundverschiedene Menschen. Carlos war schon ein außergewöhnlicher Typ. Trotz allem: Seine Aufführungen waren unglaublich, seine Traviata oder die Fledermaus in München mein Gott. Und es gibt keine bessere Freischütz-Ouvertüre als von ihm.

Haben Sie mit ihm über seinen Vater gesprochen?

Nein, nie.

Seine Mutter Ruth kannten Sie?

Ja, aber auch sie erwähnte er mir gegenüber nie. Sie war eine feine Dame. Zuletzt sah ich sie in Wien 1967, wo Carlos ein Konzert mit den Wiener Symphonikern leitete. Seine Mutter saß in einer Orchesterprobe, in der Carlos einen Bläser fürchterlich triezte, weil der es nicht so hinbrachte, wie er das wollte. Seine Mutter war ein bisschen aufgeregt darüber, dass er so streng war und fuhr nach dem Konzert nach Salzburg zurück. Kurz danach war sie nicht mehr. Ihr Tod kam plötzlich und für mich völlig unerwartet.

1974 sangen Sie nach den Stuttgarter Aufführungen noch einmal Rosenkavalier unter Kleiber an der Wiener Staatsoper, wobei nur eine seiner zwei Übernahmen.

Mir schien, er hatte dann ein gestörtes Verhältnis zu mir. Ich weiß nicht warum. In Wien wollte er mich später nicht wieder haben. Ich weiß nicht, vielleicht war ich ihm schon zu alt oder nicht gut genug, kann alles sein. In Stuttgart war er so lieb und später in Wien sagte er mir, ich sei eine Hexe (schmunzelt).

Hatte Sie nach Stuttgart noch Kontakt mit ihm?

Nein. Danach haben wir uns eigentlich verloren, bis auf ein Mal, als er uns besuchte und meinen Mann um einen medizinischen Rat wegen seines Jungen bat. Er besuchte uns mit seiner Frau Stanka und seinem Sohn. Sie machte auf uns einen sehr guten Eindruck, eine ganz einfache, nette Frau. Sie war ganz bescheiden und schlicht, wirkte auf mich wie das absolute Gegenteil von ihm. Später wusste ich überhaupt nicht mehr, was mit ihm ist, nur, dass er sehr zurückgezogen lebt und nicht mehr dirigieren will.