Unbekannte und  unveröffentlichte Aufnahmen von Carlos Kleiber

 

Das Vermächtnis von Carlos Kleiber

Text in Japanese

Schmerzlich, wie klein das diskografische Vermächtnis von Carlos Kleiber ist, dieses begnadeten Ausnahmedirigenten, der immer daran zweifelte, seine musikalischen Ideale und Ansprüche im Konzertsaal, im Opernhaus oder gar im Studio verwirklichen zu können.

Anfang der 70er-Jahre, der Zeit seines aufblühenden Weltruhms, schien er zwar kritisch, aber doch willens zu sein, sein Konzert- und Opernrepertoire kontinuierlich auf Platte zu verewigen. Seine gerühmten Einspielungen des "Freischütz", von "La Traviata", "Tristan und Isolde", der "Fledermaus" und einiger Orchesterwerke von Beethoven, Schubert, Brahms und Dvoák haben Schallplattengeschichte geschrieben. Ein Jammer, dass Kleiber bereits nach zehn Jahren seine kurze Studiokarriere frustriert von den für ihn mehr und mehr unerträglichen künstlerischen Bedingungen der Branche beendete.

Ein Glück aber, dass er sich immerhin noch für einige auf Video, später auf DVD veröffentlichte Live-Produktionen mit teils neuem Repertoire gewinnen ließ. "Live", dieses Wort nährt Hoffnungen auf das, was noch ans Licht kommen könnte. Nach Live-Aufnahmen von Beethovens sechster und siebter Sinfonie aus München, Borodins zweiter Sinfonie, "Carmen" aus Wien auf DVD, teils von Kleiber noch vor seinem Tod 2004 autorisiert, lässt nun ein "Rosenkavalier" vom Münchner Festspielsommer 1973 die Herzen vieler Musikfreunde höher schlagen. Auch die Premiere der Neuinszenierung in der Regie Otto Schenks vom April 1972 ist komplett erhalten, wenngleich sie bislang nur in einem 20-minütigen Ausschnitt auf CD veröffentlicht worden ist. Dass bereits eine Münchner Folge-Aufführung von 1979 nebst einer ein wenig im Temperament zurückgenommenen Vorstellung aus der Wiener Staatsoper 1994 auf DVD veröffentlicht wurden, schmälert den Reiz und die Bedeutung dieser Dokumente nicht. Die hinreißende musikalische Sternstunde des Jahres 1973, klanglich gegenüber früheren nicht-autorisierten Ausgaben nun ungetrübter genießbar, macht Lust auf mehr.

Einiges schlummert noch in Archiven: Schumanns Klavierkonzert vom Prager Frühling 1968, Carl Philipp Emanuel Bachs Cellokonzert B-Dur oder eine "Fledermaus" in Französisch aus Genf 1966. Drei Mitschnitte von "Tristan und Isolde" aus Bayreuth, "Wozzeck" aus München 1970, der Scala-"Otello" von 1976, "La Boheme" aus Mailand 1979 oder die von Kleiber kurz vor der Veröffentlichung zurückgezogene Aufnahme von Strauss'"Heldenleben" kamen nie offiziell auf den Markt. Und wer weiß, was für ungehobene Schätze sich in Kleibers Privatarchiv verbergen könnten. Denn an der Deutschen Oper am Rhein in den frühen 60er-Jahren ließ Kleiber Aufführungen mitschneiden, darunter einen "Rigoletto" aus Duisburg. Auch ein Band der Stuttgarter "Wozzeck"-Premiere 1966 hielt Kleiber in Händen. Wehmütig denkt man daran, was Kleiber nicht tat. Doch mit dem, was er schuf, gebiert er weiter musikalische Erfüllung und Spannung.

Alexander Werner